Im diesjährigen Abschlussjahrgang der Bachelorstudenten an der Hochschule für Technik Stuttgart wurde Paul Gräfe mit dem BDB-Förderpreis ausgezeichnet. Seine Bachelorarbeit mit dem Titel „Einsatz von Bayesschen Netzen und GIS-Analysen zur Flutrisikobewertung in der Landwirtschaft bei Starkregenereignissen“, wurde von der Jury als besonders praxisrelevant, innovativ und zukunftsorientiert bewertet. Die Arbeit entstand unter Betreuung von Prof. Dr.-Ing. Angela Blanco-Vogt und wurde am Beispiel des Starkregenereignisses vom 2. Juni 2024 im Rems-Murr-Kreis durchgeführt.
Ziel der Arbeit war es, eine Methodik zu entwickeln, mit der sich das Flutrisiko für landwirtschaftlich genutzte Flächen bei Starkregenereignissen unter Berücksichtigung historischer Starkregenereignisse präzise bewerten lässt. Als Grundlage dienten öffentlich verfügbare Geodaten, die mithilfe von GIS (Geoinformationssystemen) analysiert und für die Risikobewertung mit Bayesschen Netzen aufbereitet wurden. Die Herausforderung dabei lag insbesondere in der modellhaften Abbildung der Unsicherheiten und Einflussfaktoren, die mit Starkregenereignissen verbunden sind.
Das untersuchte Starkregenereignis vom 2. Juni 2024 verursachte im Raum Rudersberg / Schlechtbach außergewöhnlich hohe Niederschläge: Innerhalb von sechs Stunden wurden bis zu 68 mm Regen gemessen. Die resultierenden Überflutungen führten zu großflächigen Überschwemmungen auf landwirtschaftlichen Flächen im Gebiet Rudersberg / Schlechtbach. In einem erweiterten Untersuchungsgebiet bei Miedelsbach wurden vergleichbare Ereignisse analysiert.
In seiner Arbeit entwickelte Paul Gräfe einen Workflow, der GIS-gestützte Analysen mit probabilistischer Modellierung in einem Bayesschen Netz verknüpft. Nach der Klassifizierung relevanter Umwelt- und Nutzungsdaten wurden diese in ein Bayessches Netz überführt, das die Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen wie Hangneigung, Bodenart, Gewässernähe und Regenintensität abbildet.
Das Bayessche Netz, insbesondere die bedingten Wahrscheinlichkeitsverteilungen (CPD), wurden durch statistische Kriterien aus historischen Wetterdaten sowie durch logische Annahmen basierend auf Fachwissen definiert. Dabei flossen sowohl Histogramm-Analysen der klassifizierten Variablen als auch Experteneinschätzungen aus Literatur in die Modellkonfiguration ein, um realistische Wahrscheinlichkeiten für Bewertung des Flutrisikos abzubilden.
Die Methodik wurde mit einer ersten Szenarioanalyse des 2. Juni 2024 im Untersuchungs-gebiet Rudersberg / Schlechtbach erprobt. Die Ergebnisse dieser ersten Szenarioanalyse ergaben ein Bayessches Netz, welches die Flutrisikobewertung des Starkregenereignisses zu konservativ bewertete. Die maximale Flutrisikowahrscheinlichkeit wurde mit 54% bewertet, während das höchste Risiko bei 78% lag. Die Mittelwerte der Flutrisikowahrscheinlichkeiten konzentrierten sich bei 63%. Diese erste Erprobung der Methodik gab Anlass zur kritischen Hinterfragung und Optimierung der Konfiguration des BN.
Eine anschließende Sensitivitätsanalyse zeigte, dass bestimmte Variablen – insbesondere Bodenfeuchte, Hanglage und Niederschlagsintensität – einen besonders hohen Einfluss auf das Flutrisiko haben. Andere Variablen wie Straßennähe oder Höhenlage hatten hingegen kaum Einfluss.
Auf Basis der Sensitivitätsanalyse konnte eine Optimierung des BN durchgeführt werden, dabei wurden die Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Zustände bestimmter, unterrepräsentierter Variablen angepasst, um eine präzisere Risikobewertung zu ermöglichen.
Nach Anwendung der Optimierung wurde das Starkregenereignis am 2. Juni 2024 im Untersuchungsgebiet nochmals für eine Szenarioanalyse untersucht. Die Ergebnisse der Optimierung zeigen, dass ein optimiertes BN bei demselben Starkregenereignis eine breitere Wahrscheinlichkeitsverteilung für das Flutrisiko aufweist, als bei der ersten Szenarioanalyse. Risikoarme und risikoreiche landwirtschaftliche Gebiete wurden klarer voneinander abgegrenzt.
Eine progressivere Flutrisikobewertung für landwirtschaftliche Flächen wurde ermöglicht. Nun wurde die maximale Flutrisikowahrscheinlichkeit mit 86% bewertet, während das Minimum bei 39% lag. Der Mittelwert der Flutrisikowahrscheinlichkeiten konzentrierte sich bei 55%.
Die Validierung der Modellvorhersagen durch Vergleich mit tatsächlichen Überflutungsflächen ergab einen RMSE-Wert von 23,2 % im Gebiet Rudersberg / Schlechtbach und 30 % in Miedelsbach – beides akzeptable Werte für ein probabilistisches Modell.
Abschließend kann gesagt werden, ein BN kann kombiniert mit GIS-Analysen zur Bewertung und Quantifizierung des Flutrisikos landwirtschaftlicher Flächen durch Starkregenereignisse eingesetzt werden. Die Anwendung der Methodik, als auch Validierung, im Gebiet Rudersberg / Schlechtbach verlief erfolgreich, wobei insbesondere die Sensitivitätsanalyse eine fundierte Überprüfung und Optimierung des Bayesschen Netzes ermöglichte.
Auch die gebietsübergreifende Erprobung in Miedelsbach bestätigt die Anwendbarkeit der Methodik und ihre Übertragbarkeit auf weitere Regionen. Für zukünftige Anwendungen wird empfohlen, die Modellgenauigkeit durch die Integration weiterer Variablen wie Oberflächenparameter, Rauigkeitswerte und Drainagesysteme zu verbessern. Zudem konnten meteorologische Vorhersagen in das BN eingebunden werden, um eine frühzeitige Erkennung von Flutrisiken zu ermöglichen. Langfristig kann die Methodik in Entscheidungssysteme integriert werden, um landwirtschaftliche Betriebe und Behörden bei der Hochwasserschutzplanung zu unterstützen.
Die Preisverleihung fand am 18.06.2025 an der Hochschule für Technik Stuttgart durch Herrn Benjamin Sattes statt. Der BDB-Förderpreis wird jährlich vom Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure Baden-Württemberg – Fachgruppe Vermessung – in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis der beratenden Vermessungsingenieure (abv) verliehen. Er ist mit 500 Euro dotiert und zeichnet herausragende Abschlussarbeiten mit hoher fachlicher Qualität, Innovationskraft und berufspolitischer Relevanz aus.
Hierzu referierte der Vorsitzende der FG Geodäsie und Geoinformatik im BDB/VDV, Dipl. Ing. (FH) Benjamin Sattes, anlässlich der Fachtagung des DVW/BW in Mannheim. Weiteres hierzu siehe ingenieurblatt BW, Ausgabe 2/2024, Seite 16, https://www.baumeister-online.de/app/uploads/2024/03/2024-02_ingenieurblatt-www.pdf
Vom 24. bis 26. September 2024 wird die Messe Stuttgart zum Zentrum für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement. Die INTERGEO, weltweit führendes Event, versammelt Experten aus aller Welt. Im Umfeld von 600 internationalen Brands, Branchenführern, Verbänden und Startups präsentieren sich auch die Fachgruppe Geodäsie und Geoinformatik, der BDB-BW und der Arbeitskreis der Beratenden Ingenieure -Vermessung- (abv) auf einem Stand gemeinsam mit dem VDV.