Digitale Selbstverständlichkeit: Was Leipzigs Verkehrs- und Lichttechnik dem Hochbau voraus hat
Was ursprünglich als Routinebesuch bei der Stadt Leipzig geplant war, wurde zu einem Aha-Erlebnis: Die Abteilung für Verkehrs- und Lichttechnik zeigte eindrucksvoll, was es bedeutet, wenn Digitalisierung nicht mehr Projektstatus hat – sondern Alltag ist. Keine Rede von „Ob“, kaum noch von „Wie“. Hier geht es um Feinjustierung: Sekundenbruchteile in der Ampelschaltung, Abweichungen von zwei auf eine Sekunde reduzieren – so wie es in Chemnitz bereits Standard ist. Dresden operiert auf demselben Niveau. Leipzig ebenfalls.
Digitale Prozesse – einfach gelebte Praxis
Was besonders auffiel: Die Selbstverständlichkeit, mit der Mitarbeitende – teils im Rentenalter – digitale Systeme bedienen. Keine Show, keine Technikeuphorie. Einfach gelebte Praxis. An der Kreuzung Nonnenstraße/Ecke Klingerweg demonstrierte eine Mitarbeiterin die Kameraaufschaltung einer Ampel. Im rechtlichen Rahmen, ohne erkennbare Nummernschilder oder Gesichter, zeigte sie das Livebild. Daneben: die Live-Steuerung der Ampelschaltung mit Statusanzeigen in nahezu Echtzeit. Auf einem dritten Monitor: der aktuelle Lageplan der Kreuzung. Ein Klick – und die gesamte Ansicht wechselte zur nächsten Ampelanlage. Reaktionszeit: Sekunden. Auch Leitsysteme und Straßenbeleuchtung lassen sich so steuern – direkt, präzise, live.
Ein komplexes System mit klarer Struktur
Von 6:30 Uhr bis 20 Uhr betreuen drei Mitarbeitende die Steuerzentrale – bei Großveranstaltungen auch darüber hinaus. Hinter den Kulissen wirken über 80 Beschäftigte in Planung, Wartung, Pflege und Außendienst. Leipzig zählt über 450 Ampelanlagen – nur 23 davon sind noch nicht digital eingebunden. Hinzu kommen über 8000 Lichtpunkte im Stadtgebiet. Wartung, Sanierung und Neubau erfolgen in Eigenleistung. Dafür stehen u. a. vollelektrische und hybride Hubsteiger bereit – der Motor wird im Einsatz abgestellt, die Bühne läuft batteriebetrieben.
Technik trifft Geschichte
Das Betriebsgelände blickt auf eine lange Tradition zurück: Seit 1865 ist es für die Stadtbeleuchtung zuständig – einst mit Gaslicht, heute als zentrale Steuerstelle. Der ehemalige Gasspeicher dient inzwischen als Parkplatz für die Hubsteiger. Eine angrenzende Fläche soll bebaut werden, sobald Mittel zur Verfügung stehen. Das Bestandsgebäude soll energetisch saniert werden, um die Arbeitsbedingungen – insbesondere im Sommer unter dem Dach – zu verbessern. Interessant: Bereits vor Jahren war ein Ingenieur des BDB Leipzig in Überlegungen zur baulichen Entwicklung eingebunden – eine schöne Wendung, die beim Rundgang erneut zur Sprache kam.
Fachliche Tiefe trifft städtebauliche Relevanz
Bereits vor Beginn der Führung wurden im Besprechungsraum Themen diskutiert, die weit über Ampelsteuerung hinausgehen. Beispiel: die stadtgestalterischen Herausforderungen vor dem Leipziger Hauptbahnhof, auch im Kontext des Denkmalschutzes. Sebastian Lindhorst, Abteilungsleiter Verkehrsmanagement und Beleuchtung, brachte neue Perspektiven ein – mit Schnittmengen, die für Ingenieurinnen wie Architektinnen gleichermaßen relevant sind.
Ein Impuls für den Hochbau?
Wenn digitale Prozesse so selbstverständlich gelebt werden wie hier – ohne Inszenierung, ohne Digitalisierungsrhetorik – stellt sich unweigerlich die Frage: Wann erreicht der Hochbau diesen Zustand? Wann wird auch dort nicht mehr gefragt, wie etwas digital machbar wäre, sondern wie genau und schnell die Umsetzung optimiert werden kann?
Kai Seiffarth, Architekt BDB Vorsitzender BDB BG Leipzig