Die Bezirksgruppe Leipzig des BDB besuchte am 7. August 2025 die Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) – ein europaweit einzigartiges Ensemble barocker Bildungsarchitektur. Neben einer bauhistorischen Führung durch Dr. Thomas Grunewald standen vor allem technische Einblicke in die laufenden Sanierungsmaßnahmen im Fokus. Fachlich begleitet wurde der Besuch von mehreren BDB-Mitgliedern aus Leipzig sowie Vertretern der ausführenden Baufirma. Die interessierten Teilnehmer kamen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Zwischen Eigensinn und Systematik – Denkmalpflege in der Praxis
Im Zentrum der technischen Führung standen die Häuser 10 und 11 des Langen Hauses, vorgestellt als größtes Fachwerkwohngebäude Europas, in denen aktuell die grundhafte Sanierung der Sichtfachwerkfassade durchgeführt wird. Dipl.-Ing. Toralf Schmidt (Bauwerkserhaltung), Dipl.-Ing. Matthias Voigt (Holzschutz), Dipl.-Ing. Steffen Jakob (Tragwerksplanung) und die Handwerker der Firma Scholz Bau gaben konkrete Einblicke in die Herausforderungen der Denkmalpflege.
Bei den Häusern 24 (Cansteinsche Bibelanstalt) und 25 (altes Mägdeleinhaus) wurde über Schwammbefall, Schäden, Mängel, Baufehler der Vergangenheit, Bauunterhalt, Instandsetzungen unter benutzen Bedingungen, Sonderverfahren zum Erhalt denkmalwerter Substanz und über Erfahrungen aus den Sanierungspraxis gesprochen.
Innovative Reinigung mit Trockeneis und Impulslaser, holzrestauratorische Instandsetzungen
Besondere Aufmerksamkeit erhielt das Trockeneisstrahlverfahren, das an der Fassade der Häuser 10 und 11 eingesetzt wurde. Es ersetzt aufwendige Schleifarbeiten durch eine hochpräzise, materialschonende Reinigung. Dabei trifft gefrorenes Kohlendioxid in feinkörniger Form auf die Oberfläche und versprödet Farbschichten, ohne das Holz zu beschädigen. Die Vorteile gegenüber dem klassischen Sandstrahlen liegen auf der Hand: keine Glaszerstörung, kein Rückprall von Strahlgut, und die Nachbearbeitung mit Schleifgeräten wird deutlich reduziert.
Ergänzend wurde auf der Baustelle auch der Einsatz von Impulslasern demonstriert. Dieses Verfahren eignet sich besonders für sehr feine, hartnäckige Farbschichten und schwer zugängliche Stellen. Der Impulslaser entfernt die Farbpartikel schichtweise, ohne das Trägermaterial thermisch zu schädigen. Die Vorführung verdeutlichte eindrucksvoll, wie präzise und selektiv der Laser auch bei historischem Material eingesetzt werden kann – eine Technologie, die zunehmend auch in der Baudenkmalpflege Einzug hält.
Besonders eindrucksvoll war das handwerklich versiert ausgeführte Ausspähnen von tiefen und wasserführenden Schwindrissen während der Ausführung zu sehen.
Vertiefung in der Gastronomie: Holzpflege mit Leinöl
Im Anschluss an die Führungen traf sich die Gruppe in der nahegelegenen Gastronomie, um den fachlichen Austausch fortzusetzen. Dort präsentierte Dipl.-Ing. Toralf Schmidt eine Einführung in das Verfahren der Holzpflege mit Leinöl. Anhand von Riechproben demonstrierte er die Unterschiede zwischen verschiedenen Herstellungsverfahren und Qualitäten des Öls. Die Teilnehmenden konnten die charakteristischen Unterschiede der Trocknung, Raffinierung und Oxidation des Leinöls anhand von Geruch und Haptik direkt erfahren – ein praxisnaher Ausklang des intensiven Besichtigungstags.
Der historische Kontext – ein pädagogisches Gesamtkunstwerk
Dr. Thomas Grunewald führte die Gruppe anschließend durch das Stiftungsgelände, das sich seit der Gründung durch August Hermann Francke 1698 zu einem frühneuzeitlichen Bildungs- und Wirtschaftsunternehmen entwickelte. Innerhalb von 30 Jahren entstanden über 50 Fachwerkbauten – teils in serieller Modulbauweise – darunter Schulen, Waisenhäuser, Handwerksbetriebe und die älteste massiv errichtete Bibliothek Deutschlands (Haus 22, erbaut 1728).
Besonderes Augenmerk lag auf dem Konzept der sozialen Durchlässigkeit. In den Schulen saßen Waisenkinder neben Adeligen, die durch Schulgeldzahlung zur Finanzierung des Systems beitrugen. Es gab keine starren Klassenstufen – Versetzung erfolgte leistungsbezogen. Was heute als moderne Schulreform gilt, wurde hier bereits im frühen 18. Jahrhundert praktiziert.
Der sogenannte Ordnungssaal diente der Vermittlung praktischen Wissens an realen Objekten – eine Vorform der Realschule. Die Stiftung betrieb zudem Apotheken, Buchhandlungen, Brauereien und Landwirtschaft – ein wirtschaftliches Netzwerk, das den Unterhalt der Bildungsanstalt sicherte.
Zwischen Pietismus und Baupraxis
Die Führung machte deutlich: Der Erfolg der Franckeschen Stiftungen beruhte auf einem klug organisierten Zusammenspiel aus Pragmatismus, Zeitökonomie und ideeller Mission. Der Verzicht auf Massivbau in der Frühphase – zugunsten von Fachwerk – ermöglichte eine schnelle Expansion unter prekären Finanzierungsbedingungen. Spätere Umbauten und Ergänzungen erfolgten sukzessive – oft ohne übergeordneten Masterplan.
Nicht zuletzt wurde im Austausch unter den Teilnehmern deutlich, dass viele technische und wirtschaftliche Prinzipien, die heute in der Bauwirtschaft diskutiert werden – Modularität, Fördermittelstrategie, Zweckrationalität – hier bereits vor 300 Jahren praktiziert wurden.
Fazit
Der Besuch bot nicht nur tiefe Einblicke in die handwerklichen und restauratorischen Herausforderungen der praktischen Denkmalpflege, sondern auch in die gesellschaftliche Relevanz von Architektur als Bildungs- und Transformationsinstrument. Die Franckeschen Stiftungen sind nicht nur ein Ort historischer Bausubstanz, sondern ein lebendiges Zeugnis dafür, wie Architektur und Pädagogik Hand in Hand gehen können – damals wie heute.